Mosel-Maut fällt – Chance für die Binnenschifffahrt oder nur Symbolpolitik?

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Was der Wegfall der Abgaben für Supply Chains, Klimaziele und die Rolle der Wasserstraßen wirklich bedeutet

Als Logistikexperte verfolge ich die Entwicklung rund um die Mosel seit Jahren – nicht nur aus regionalem Interesse, sondern vor allem, weil Wasserstraßen für die Dekarbonisierung des Güterverkehrs eine oft unterschätzte Rolle spielen. Mit dem Wegfall der Schifffahrtsabgaben auf der Mosel ab dem 19. November ist nun ein Schritt vollzogen worden, der auf den ersten Blick nach einer reinen Entlastungsmaßnahme klingt, in Wahrheit aber viele strategische Fragen aufwirft. Deutschland, Frankreich und Luxemburg haben den Moselvertrag geändert, die Mosel wird für Binnenschiffer abgabenfrei, und damit sind nun alle deutschen Binnenwasserstraßen ohne Maut befahrbar. Seit der Eröffnung der Großschifffahrtsstraße im Jahr 1964 war das Gegenteil der Fall: Für jede Passage fiel ein Entgelt an, damit ist jetzt Schluss!

Laut Bundesverkehrsministerium bedeutet die Entscheidung eine finanzielle Entlastung von rund sechs Millionen Euro pro Jahr für die Moselschifffahrt – Geld, das auf den ersten Blick direkt auf den Ergebniskonten von Reedern, Häfen und verladender Wirtschaft landet. Die Botschaft der Politik ist klar: Der ohnehin klimafreundlichere Verkehrsträger Binnenschiff soll attraktiver werden, mehr Güter sollen von der Straße aufs Wasser verlagert werden. Und tatsächlich sprechen einige Kennzahlen für diese Logik: Während ein Lkw im Schnitt etwa 118 Gramm CO₂ pro Tonnenkilometer verursacht, liegt die Binnenschifffahrt bei rund 33 Gramm. Die Schiene ist mit rund 16 Gramm zwar nochmals besser, aber der Abstand zum Lkw ist deutlich – insbesondere bei Massengütern und großen Volumina. Für Unternehmen, die ihre Scope-3-Emissionen ernsthaft senken wollen, ist das Binnenschiff damit ein relevanter Hebel.

Gleichzeitig dürfen wir diese sechs Millionen Euro nicht überschätzen. Im Kontext des gesamten Güterverkehrsvolumens auf Rhein und Mosel ist das ein vergleichsweise kleiner Betrag. Die entscheidende Frage lautet daher: Reicht die Gebührenbefreiung wirklich aus, um nennenswerte Mengen von der Straße aufs Wasser zu holen oder verbessert sie in erster Linie die Marge auf bestehenden Relationen? Wer Supply Chains plant, weiß: Neben Kosten entscheiden Faktoren wie Laufzeit, Flexibilität, Sendungsstruktur und Risiko. Just-in-time-Verkehre, kleinteilige Stückgüter oder hoch variable Abrufe lassen sich nicht durch eine Mautbefreiung plötzlich schiffstauglich machen. Das Binnenschiff bleibt naturgemäß stärker auf planbare, volumenstarke Ströme angewiesen.

Interessant ist der Blick auf die Infrastruktur selbst: Die Mosel verfügt heute über 28 Staustufen, zehn davon in Deutschland. Jede dieser Schleusen ist potenziell ein Engpass, aber auch ein Ansatzpunkt für Modernisierung von technischen Upgrades über digitale Slot-Buchung bis hin zu besseren Hinterlandanbindungen. Hier entsteht ein Spannungsfeld: Wenn Abgaben wegfallen, stellt sich umso stärker die Frage, wer langfristig den Unterhalt, die Modernisierung und den Ausbau der Wasserstraße finanziert. Ohne ausreichende Investitionen kann aus dem heutigen Standortvorteil schnell ein Infrastruktur-Risiko werden – mit Störungen, Wartezeiten und Kapazitätsengpässen, die jede theoretische Kostenersparnis überkompensieren.

Aus Klimasicht ist die Debatte ebenfalls differenzierter, als es die politische Kommunikation nahelegt. Ja, das Binnenschiff ist dem Lkw bei den reinen CO₂-Emissionen pro Tonnenkilometer überlegen. Gleichzeitig stoßen ältere Schiffe oft deutlich mehr Stickoxide und Feinstaub aus, insbesondere dort, wo noch keine moderne Abgasnachbehandlung eingesetzt wird. Für Anwohner entlang der Flüsse und in Hafenstädten ist das ein relevanter Faktor. Dazu kommt: In vielen Fällen konkurriert das Binnenschiff weniger mit dem Lkw als mit der Bahn. Wenn wir die Wasserstraße kostenmäßig stärken, ohne die Schiene parallel zu modernisieren und zu beschleunigen, besteht die Gefahr, dass Verkehre von der Bahn auf das Schiff zurückwandern und das wäre klimapolitisch nicht in jedem Fall die optimale Lösung.

Für Verlader und Logistikverantwortliche bedeutet die Mautbefreiung daher vor allem eines: Es lohnt sich, die eigenen Netzwerke jetzt sehr konkret zu prüfen – aber nicht blind zu feiern. Welche Relationen lassen sich realistisch über die Mosel abwickeln, ohne Servicegrad und Resilienz zu gefährden? Welche KPIs ergeben sich, wenn man Kosten, CO₂-Emissionen und Laufzeiten nebeneinanderlegt? Und wo macht ein intermodaler Ansatz aus Schiff, Bahn und Lkw mehr Sinn als ein reiner Wechsel des Verkehrsträgers? Unternehmen, die diese Fragen datenbasiert beantworten, können aus der politischen Maßnahme einen echten Wettbewerbsvorteil ziehen – im Markt und im ESG-Reporting. Wer hingegen nur auf den kurzfristigen Kostenvorteil schaut, läuft Gefahr, strategische Chancen zu verpassen oder neue Abhängigkeiten einzugehen.

Am Ende ist der Wegfall der Mosel-Maut weder der große Game Changer noch bloße Symbolpolitik. Er ist ein Baustein, nicht mehr, aber auch nicht weniger, in einer umfassenderen Neuausrichtung unserer Güterverkehrsströme. Ob daraus ein echter Hebel für grüne, robuste Supply Chains wird, hängt weniger von der juristischen Änderung des Moselvertrags ab, als von den Entscheidungen, die Verlader, Logistikdienstleister, Häfen und Politik jetzt treffen: Wird in Infrastruktur, Digitalisierung und Flottenmodernisierung investiert? Werden CO₂- und Kosten-KPIs konsequent in die Transportvergabe integriert? Und gelingt es, Wasserstraße, Schiene und Straße nicht als Konkurrenten, sondern als orchestriertes System zu denken? Erst wenn wir diese Fragen mit „ja“ beantworten können, wird die mautfreie Mosel zu dem, was sie sein könnte: einem sichtbaren Symbol für intelligente, nachhaltige Logistik in Europa.